Dr. Cordula Tollmien Erinnerungen Julia Lermontowa

Julia Lermontowa (1847-1919)
Erinnerungen an Sofja Kowalewskaja,
aufgeschrieben kurz nach deren Tod im Jahre 1891.


Sofja Kowalewskajas schwedische Freundin, die Schriftstellerin Anna Charlotte Leffler, hatte Julia Lermontowa um diese Erinnerungen gebeten, weil sie selbst ein Erinnerungsbuch an Sofja Kowalewskaja plante. In der von Leffler verfassten Lebensgeschichte von Sofja Kowalewskaja werden die Erinnnerungen Lermontowas ausführlich zitiert.

Der Text hier folgt der Veröffentlichung in russischer Sprache: Julia Lermontowa, Wospominanija o Sophje Kowalewskoi (Erinnerungen an Soja Kowalewskaja), in: Sofja W. Kowalewskaja, Wospominanija i Pisma (Erinnerungen und Briefe), Redaktion und Kommentar S. J. Streich, Moskau 1961, S. 373-385. Dabei handelt es sich um die zweite Auflage einer erstmals 1951 von der sowjetischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Ausgabe von Werken, Erinnerungen und Briefen von und an Sofja Kowalewskaja. Diese wiederum beruhte auf einem bereits 1945 veröffentlichten Sammelband, der in der Ausgabe von 1951 dann noch einmal beträchtlich erweitert wurde. Die meisten der darin abgedruckten Erinnerungen von Sofja Kowalewskaja, so z.B. ihre Erinnerungen an die Kindheit, die Autobiografische Skizze und ihre Erinnerungen an George Eliot gibt es schon seit Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts auch in deutscher Übersetzung. Die Erinnerungen von Julia Lermontowa liegen hier erstmals auf Deutsch vor. Übersetzt wurde der Text von Simon Panitsch und Cordula Tollmien. Die russische Akademie der Wissenschaften als eine der Rechtsnachfolgerinnen der sowjetischen Akademie der Wissenschaften wurde von der Veröffentlichung dieser Übersetzung auf dieser Homepage unterrichtet.


Ich wurde am 21. Dezember 1846 in Petersburg geboren. Meine Eltern waren sehr gebildete Menschen und haben viel gelesen. Sie besaßen beide große Bibliotheken und taten viel für die Ausbildung und Erziehung ihrer Kinder. Bei uns gab es immer eine ausländische Erzieherin und die allerbesten Lehrer kamen aus der Stadt zu uns, um uns Unterricht zu geben. Speziell für diese Fahrten gab es bei uns Pferde und eine Droschke, weil Lefortowo [ein Stadtteil von Moskau - C.T.] sehr weit vom Zentrum Moskaus entfernt lag.

Wir wuchsen ziemlich einsam auf; Altersgenossen trafen wir selten. Ich war in keiner Schule und in keinem Institut, aber ich habe sehr gern gelernt. Ich habe mich sehr früh für verschiedene Naturwissenschaften, besonders aber für die Chemie interessiert. Ich habe mir selbst Chemiebücher besorgt, die Geräte zusammengesucht und verschiedene einfache Experimente durchgeführt. Zuerst hatte ich vor, mich mit Medizin zu beschäftigen, und habe bei Professor Babuchin [A.I. Babuchin (1827-1891) - C.T.] von der Moskauer Universität Histologie gelernt. Aber die Medizin lag mir nicht, ich hatte Angst vor Wunden und dem Leiden der Kranken.

1868 haben ich und zwei andere mir bekannte junge Frauen, die Töchter von General Fjodorow, einen Antrag an die damalige Petrowskaja Akademie für Landwirtschaft gestellt. Aber, abgesehen von dem Mitleid einiger Professoren (Strobut, Fortunatow u.s.w. ) hat uns das nichts eingebracht. Danach habe ich beschlossen, zum Studium ins Ausland zu gehen, und habe mich für die Chemie, mit der ich mich immer so gern beschäftigt habe, als Fach entschieden. In dieser Zeit kam ich in Briefkontakt mit meiner Cousine Anna Michailowna Jewreinowa (später wurde sie die erste weibliche Juristin). Als Kinder hatten wir uns nie gesehen, obwohl unsere Mütter Schwestern waren. Aber die Jewreinows wohnten in Petersburg und wir in Moskau.

Als Jewreinowa erfuhr, dass sie in Moskau eine Cousine hatte, die wie sie selbst zur Wissenschaft und ins Ausland strebte, schrieb sie mir einen anteilnehmenden Brief. Eine Zeit lang schrieben wir uns nur Briefe, ohne uns persönlich zu treffen. Durch diese Frau habe ich Sofja Wassiljewna Kowalewskaja kennen gelernt. Auch mit ihr habe ich zunächst nur Briefe gewechselt, ehe ich sie persönlich getroffen habe. A. M. Jewreinowa war mit S. W. Kowalewskaja und ihrer älteren Schwester sehr befreundet. Ich wollte Kowalewskaja und Jewwreinowa gern persönlich kennenlernen und deshalb habe ich 1868 meinen Vater überredet, mit mir nach Petersburg zu fahren, wo wir wir viele Verwandte hatten und wo ich dann sowohl Kowalewskaja als auch Jewreinowa kennengelernt habe. In demselben Jahr beschloss Kowalewskaja gemeinsam mit ihren Mann, zum Studium ins Ausland zu gehen. Sie kam vorher nach Moskau, um meine Eltern kennenzulernen und sie zu überzeugen, dass sie mich mit ihr ins Ausland fahren lassen sollten. Die Eltern von A. M. Jewreinowa haben ihr nicht erlaubt, ins Ausland zu gehen. Deswegen ist sie 1870 ins Ausland geflohen. Kowalewskajas Mission gelang und sie hat meine Eltern überzeugt, mir zu erlauben, im Herbst 1869 mit ihr zusammen ins Ausland zu gehen. Es war schwer, sich von Zuhause zu verabschieden, vom Vater und von der Mutter, die mich immer sehr lieb hatten. Sie hatten große Zweifel , ob sie mir erlauben sollten, ins Ausland zu gehen, weil sie Angst hatten, ihre Tochter allein in so weit entfernte Länder gehen zu lassen. Sie hatten nichts gegen meinen Studium. Aber die Würfel waren gefallen.

Im Frühling 1869 sind Kowalewskaja und ihr Mann Wladimir Onufrijewitsch von Petersburg aus zum Studien an die Heidelberger Universität gegangen. Im Herbst desselben Jahr bin auch ich dorthin gefahren. Obwohl Kowalewskaja und ich keine offizielle Erlaubnis zum Besuch der Universität erhielten, bekamen wir doch nach vielen Mühen die Erlaubnis, alle Vorlesungen zu besuchen, genauso wie alle andere Studenten der Universität.

Ich habe die Vorlesungen der Professoren Bunsen, Kirchhof und Kopp besucht. Das erste halbe Jahr habe ich mich mit qualitativen Analysen in einem privaten Laboratorium beschäftigt . Erst im zweiten Semester habe ich die Erlaubnis bekommen, in Bunsens Labor zu arbeiten. Dort machte ich praktische Übungen: qualitative Reaktionen nach der Methode von Bunsen, quantitative Analysen verschiedener Erze und die Trennung seltener Platinverbindungen, ebenfalls nach der Methode von Bunsen.

In Heidelberg wohnte ich mit Sofja Wassiljewna Kowalewskaja zusammen. Nach dem ersten Treffen damals in Petersburg hatten wir uns nur sehr selten gesehen. Hier während unseres Zusammenlebens wurden wir sehr gute Freundinnen. Ihr großes Talent, ihre Liebe zur Mathematik, ihr sympatisches Aussehen und ihre Bescheidenheit haben alle Menschen, mit denen sie zusammentraf, beeindruckt. Sie war bezaubernd. Alle Professoren, bei denen sie studierte, waren von ihrer Begabung entzückt, dazu war sie sehr fleißig und konnte sich stundenlang mit mathematischen Berechnungen beschäftigen, ohne vom Tisch aufzustehen. Ihr nobler und anständiger Charakter korrespondierte mit einem tiefen und komplexen Innenleben, wie ich es danach bei niemandem mehr gefunden habe. Zuerst wohnte auch der Mann von S. W., Wladimir Onufrijewitsch Kowalewskij, mit uns zusammen, aber später ging er nach München, um dort Geologie zu studieren.

Wladimir Onufrijewitsch war auch eine sehr interessante und beeindruckende Persönlichkeit. Unser gemeinsames Leben war wirklich ein Vergnügen: Tagsüber hörten wir Vorlesungen und arbeiteten im Laboratorium, abends und an Feiertagen machten wir lange Spaziergänge durch die schöne Umgebung von Heidelberg.

Im Herbst 1870 kam Anna Michailowna Jewreinowa zu uns. Sie war von ihren Eltern geflüchtet und hatte die Grenze ohne Pass zu Fuß unter Beschuss der Grenzsoldaten überquert. Sie fand bei uns eine Zuflucht und lebte einige Zeit bei uns. Dann ging sie nach Leipzig, um dort Jura zu studieren. Sie war eine starke und lebhafte Frau und hat in unser etwas zurückgezogenes Leben neuen Wind gebracht.

Der Vater von Anna Michailowna Jewreinowa war General-Adjutant, der Verwalter des Peterhofes. Ihre Eltern wollten ihr auf gar keinen Fall erlauben, ins Ausland zum Studieren zu gehen, obwohl sie sogar älter als wir war. Aber – erstaunlicherweise – haben ihre Eltern, nachdem sie von Zuhause verschwunden war, begonnen, sie zu suchen. Ihre Mutter ist zuerst zu uns nach Heidelberg gekommen und hat dort erfahren, wo ihre Tochter war. Dann ist sie zu ihr nach Leipzig gefahren, hat sich mit ihr versöhnt und sogar während ihres Studiums mit ihr mit gelitten. Zwei Jahre lang haben wir zusammen in Heidelberg studiert und im Herbst 1871 haben wir mit Sofja Wassiljewana das schöne Heidelberg verlassen und uns in Berlin niedergelassen [Hier täuscht sich Julia Lermontowa in ihren Erinnerungen: Sofja Kowalewskaja war schon zum WS 1870/71 nach Berlin gegangen - C.T.].

Ungeachtet der Empfehlungen der Heidelberger Professoren wurden wir an der Berliner Universität nicht als Studentinnen angenommen. Es war uns verboten, die Vorlesungen von irgendeinem Professor zu besuchen. Sofja Wassiljewna studierte privat bei Professor Weierstraß, der von ihrer herausragenden mathematischen Begabung begeistert war. Er ist selbst manchmal in der Woche zu ihr zugekommen und hat sie in Mathematik unterrichtet.

Sofja Wassiljewna und ich führten in Berlin ein einsames und zurückgezogenes Leben. Sofja Wassiljewna saß den ganzen Tag am Tisch und beschäftigte sich mit mathematischen Berechungen. Ich arbeitete von morgens bis abends im Laboratorium. Wladimir Onufrijewitsch Kowalewskij, der damals an der Jenaer Universität studierte, hat uns selten besucht. Unterhaltung, Theaterbesuche u.s.w., hatten wir keine. Bekannte hatten wir auch keine. Die einzige Abwechslung boten uns Professor Weierstraß und seine Familie. Sie hatten zu uns eine sehr warme und gute Beziehung wie zu eigenen Kindern. Sie schmückten für uns einen Weihnachtsbaum und haben uns zum Mittag- und zum Abendessen eingeladen. Sie lebten selbst sehr einsam und deswegen haben wir bei ihnen keine neuen Leute kennen gelernt.

Anfang des Jahres 1874 habe ich meine Doktordissertation begonnen. Sie hieß „Zur Kenntnis der Methulen Verbindungen“. Dann bin ich nach Hause gefahren, um mich auf die Doktorprüfung vorzubereiten. Im Herbst desselben Jahres bin ich nach Göttingen gefahren, um die Prüfung abzulegen. Die Fahrt fiel mir sehr schwer: Ich musste in eine ganz fremde Stadt, zu unbekannten Professoren. Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich eine solche Prüfung ablegen und davor hatte ich Angst. Göttingen war damals eine noch eigentümlichere Stadt als Heidelberg. Die nicht besonders große Universität spielte dort eine wichtige Rolle. Es schien so, als ob es in der Stadt kein gesellschaftliches Leben außerhalb der in Universität gäbe. In den Straßen gab es nur Fußgängerverkehr, keine Kutschen. Wenn jemand eine Kutsche brauchte, musste man sie im Voraus bestellen. Selbst die Fahrt der Kutsche durch die Stadt war ein Ereignis.

Vor der Prüfung habe ich in Göttingen drei schreckliche Wochen überlebt. Ich und die Professoren haben sich auf die Prüfung vorbereitet. Endlich kam der schreckliche Tag: Ich wurde von mir völlig unbekannten Professoren geprüft: anorganische Chemie - Professor Wöhler, damals schon ein alter Mann; organische Chemie - Professor Hübner; Physik - Professor Listing und von einem Mineralogen, an den ich mich nicht erinnere. Die Atmosphäre der Prüfung hat mich überrascht: Sie fand abends statt, auf dem Tisch standen Tee, Kuchen und Wein. Ich wurde allein geprüft, die Prüfung dauerte zwei Stunden. In der Hauptprüfung - Chemie - wurde ich sehr lang und streng geprüft. Die Prüfung wurde als "colloquium" durchgeführt. Besonders streng war Professor Hübner zu mir. Er hat mich nach verschiedenen Gebieten der organischen Chemie gefragt. Er selbst war nach dieser Prüfung ganz müde. Der alte Wöhler machte es mir leichter. Die Prüfung in den Nebenfächern war kürzer und leichter. Nach der Prüfung haben alle getrunken und gegessen und haben mir erklärt, dass ich die Note 1 in der Prüfung bekommen habe, was bei ihnen "magna cum laude" heißt.

Professor Wöhler hat mir sofort einen Stein aus Titanit zum Geschenk gemacht, da er als erster das Element Titan entdeckt hat. Wie ich aus der Prüfung herausgekommen bin, daran kann ich mich nicht erinnern. Noch zwei bis drei Wochen danach, konnte ich nichts essen. Damals war es Sitte in Göttingen, allen Professoren, bei denen man Prüfungen abgelegt hatte, einen Besuch abzustatten. Das habe ich gemacht. Einer von ihnen, der Physikprofessor Listig, hat mich eingeladen, zu ihm zu ziehen, um mich in seinem Haus zu erholen, während mein Diplom gedruckt und meine Dissertation bestätigt werden sollte. Sie haben mir solche Aufmerksamkeit und Respekt erwiesen, dass ich das niemals vergessen werde. Ich habe einige Wochen bei ihnen gewohnt und bin dann mit unvergesslichen Eindrücken nach Hause gefahren.

Das Ziel war erreicht, die Prüfung bestanden, das Doktordiplom abgelegt. Ich hätte mich darüber freuen können, aber ich tat es nicht. Das Ergebnis schien der Mühe, die ich dafür aufgewandt hatte, nicht wert zu sein. Ich habe mich sehr unglücklich gefühlt, als ich mit dem Diplom in meinem Koffer nach Hause zurückkehrte. Auf dem Weg nach Moskau bin ich über Petersburg gefahren. Dort hatte sich Sofja Wassiljewna Kowalewskaja, die im Frühling 1874 in Göttingen ihr Doktordiplom „honoris causa“ erhalten hatte, niedergelassen. Ich habe sie natürlich besucht.

Dort habe ich einige der Petersburger Chemiker kennen gelernt. Auf Initiative von wahrscheinlich Professor Mendelejew wurde für mich und Sofja Wassiljewna eine Feier ausgerichtet. Dort wurde gegessen und auf unsere Gesundheit getrunken, viel geredet und wir wurden sehr warm aufgenommen. Dort habe ich die Professoren Butlerow, Gustawson [Gawril Gawrilowitsch (1842-1908) - Schüler von Mendelejew und Butlerow - C.T.] und Lwow [Michail Dimitrijewitsch (1848-1899), Schüler Butlerows - C.T.] kennen gelernt. Butlerow lud mich ein, in seinem Laboratorium zu arbeiten.

Das Studium war zu Ende, das Leben begann. Für mich folgten schwere Jahre. Meine Eltern starben, die Sorge um meinen Besitz, meine schwere Erkrankung, das alles war sehr schwer. Das erste Jahr nach meiner Rückkehr nach Hause arbeitete ich im chemischen Labor von Professor Markownikow . Dort habe ich eine unwichtige Arbeit aus dem Gebiet der organischen Chemie gemacht. Diese Arbeit wurde in der Zeitschrift der Russischen Chemischen Gesellschaft veröffentlicht, wenn ich mich nicht täusche, im Jahre 1875 [1876 – C.T.]. Danach wurde ich sehr krank – Typhus; es ging mir lange Zeit sehr schlecht.

1878 [in Wirklichkeit wahrscheinlich schon Ende 1876 – C.T.] zog ich nach Petersburg und lebte dort zusammen mit Sofja Wassiljewna Kowalewskaja. Nachdem wir in Berlin ganz zurückgezogen und einsam gelebt hatten, führte die Familie Kowalewskij in Petersburg nun ein offenes Haus. Wir hatten viel Besuch. Gleichzeitig arbeitete ich im Labor bei Butlerow. Die Arbeit in seinem kleinen privaten Labor an der Petersburger Universität gemeinsam mit Butlerow und seinem Assistenten Lwow machte mir viel Spaß.

Professor Butlerow hat schon bei der ersten Begegnung auf mich den Eindruck eines in jeder Hinsicht hervorragenden Menschen gemacht. Sein Äußeres war nicht besonders sympathisch, aber in seiner zurückhaltenden und ruhigen Art war er immer bereit, jedem Menschen zu helfen und einen Rat zu geben. Im Labor haben sich die Stundenten ohne Umstände an ihn gewendet, und er hat immer gern auf ihre Fragen geantwortet. In höchstem Maße gebildet, in westlicher Kultur erfahren, hatte er die Manieren eines echten Gentlemans. Er besaß einen bemerkenswert klaren Verstand. Ausnahmsweise erlaubte er mir, seine Vorlesungen in organischer Chemie zu besuchen. Zu meiner Überraschung sprach er so langsam und deutlich, dass man gleich alles mitschreiben konnte, was er sagte. In seinem Labor hatte er keinen privaten persönlichen Assistenten, alle Versuche machte er selbst, im Gegensatz zu Hofman. Er half allen Neulingen beim selbsttätigen chemischen Arbeiten, ihm aber hat niemand und nirgendwo geholfen.

Auch bei sich Zuhause war Butlerow sehr angenehm. Ich wurde oft von ihm zum Mittag – und Abendessen eingeladen, seine hübsche Frau war sehr nett zu mir. Butlerow hatte mir angeboten, eine spezielle chemische Untersuchung durchzuführen "über die Einwirkung des tertiären Butyljodürs auf Isobutylen bei Gegenwart von Metalloxyden". Diese Arbeit habe ich angefangen und sie wurde wahrscheinlich 1878 in der Zeitschrift der R.Ch.O. [der Russischen Chemischen Gesellschaft – C.T.] veröffentlicht. Ich habe diese Arbeit allerdings nicht fortgeführt, weil sich Professor Jetelkow in Charkow [Alexander Pawlowitsch Jetelkow, 1846-1894, seit 1885 Professor in Charkow, später in Kiew – C.T.] mit demselben Thema beschäftigte.

Außer mit Butlerow habe ich mich in Petersburg meistens nur mit Mendelejew getroffen ...

Mit den anderen Petersburger Chemikern bin ich selten zusammengetroffen, habe wenig von ihnen erfahren und kann wenig über sie erzählen. Bei Butlerow habe ich zwei Winter lang gearbeitet und bin danach wieder nach Moskau gezogen. Dort hatten meine Eltern gelebt und ich musste mich um das Haus und das Gut zu kümmern. Im Jahre 1880 bot mir Butlerow eine Stelle als Laborantin bei den "Höheren Frauenkursen" an, wo er selbst Chemie las. Aber ich habe das Angebot aus persönlichen Gründen abgelehnt. Ich konnte nicht weiter in Petersburg wohnen und hatte kein Interesse, praktischen Unterricht zu geben. Nachdem ich nach Moskau zurückgekehrt war, arbeitete ich einige Zeit wieder bei Professor Markownikow, wo ich unter anderem die Gewinnung von Anthracen aus Ölrückständen untersucht habe. Die Versuche im Labor ergaben gute Resultate. Aber als diese Versuche in dem Werk von Ragozin in Nischny-Nowgorod umgesetzt wurden, brachten sie keine befriedigenden Ergebnisse.

Bei Markownikow hatte ich ohne rechte Lust angefangen zu arbeiten. Ich war unzufrieden mit der Arbeit und Anfang der 80er Jahre verließ ich sein Labor und hörte für immer mit der Chemie auf. Ich ließ mich auf meinem Gut nieder und beschäftigte mich von da an mit Landwirtschaft.

Wird fortgesetzt

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